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bucklige Welt in Massachusetts (2)

Dienstag, 28. Juni 2011

von Princeton nach Greenfield
26. Juni 2011

princeton-greenfield_map

Die Risikofreude bei der Routenwahl geht ein wenig zurück, nach dem gestrigen Leerfahren. Auskünfte von Einheimischen – oder von Leuten, die wir für solche halten – stellen sich zumeist recht ubrauchbar heraus: Sie haben nur Automobil im Schädel: die von diesen Leuten durchaus wohlgemeinten und hilfreich gedachten angegebenen Entfernungen stimmen meist ebenso wenig wie topografische Beschreibungen. Radfahrende sind noch am ehesten glaubwürdig – doch die amici sportivi von der speed-Fraktion schütteln meist nur den Kopf: „you guys are really loaded up!“

Meine Klage über in diesem Land fehlende, topografisch brauchbare Landkarten stößt auf wenig Verständnis, vielleicht wird die Kritik sogar stillschweigend, höflich „überhört“. Statt dessen: „I have GPS in all my cars, on the bike and on my boat“. Naja, ich sollte mich nicht wundern.

Kirchen

Ich schätze, dass jeder kleine Ort im Durchschnitt drei Kirchen hat. Sie sind meist in enger Nachbarschaft beisammen. Dazu kommen noch die diversen Friedhofskirchen.

Warum die Leute ihre Gotteshäuser – alle von verschiedensten Kirchen – nicht auch so unter einem Dach oder in einer Mall zusammentun wie sie es mit den Geschäften in ihren shopping-centers machen? Vielleicht ist das – dass sie diese Dienstleistungskonzentration unter einem Dach – doch nicht realisieren, ein Beispiel für Jean Baudrillards Sager, dass die US-Amerikaner die letzte primitive Gesellschaft sind?

Die Kirchen im Zentrum, drum herum – nicht unähnlich unseren raumordnerischen Wichtigkeiten – die besten Häuser, Rathaus, Bank, Villen. Leider keine Geschäfte mehr, auch keine Cafes, keine Gasthäuser – letzteren Nahversorgungstypus habe ich in diesem Land überhaupt noch nie gesichtet.

Zum Teil riesige Wasserreservoirs verbinden Sumpflandschaften zu einem Seennetzwerk, das endlose Wälder überzieht: Quabbin-Reservoir

Singen
Schon in Wien hatte ich mich gefragt, welches oder welche Lieder mich wohl auf dieser Tour streckenweise begleiten werden. Ich habe ein einziges Notenblatt („May the Road Rise – Irish Blessing“ – das Rückenwindgebet) und meine etwas ramponierte Mundharmonika und, ja natürlich, die Stimmgabel mit. Im bickligen Massachusetts habe ich Herberts Text zu J.S.Bachs „Arioso“ leicht abgewandelt:

„If you ride this trail
you need a lot of air –
immer mehr,
und du fragst dich:
wo bekomm ich’s her?“

– verzeih mir Herbert, wenn ich dein Werk auch für solche energetischen Zwecke brauchbar mache?! caduta sassi sei Dank!!!

Am Ende eines langen Anstiegs in Wendell trommeln und flöten am common (Dorfplatz) im Musikpavillon ein paar junge und ältere Leute und Kinder. So viel Luft für die Mundharmonika war noch in mir – lag wohl an der beflügelnden Gaudi und der
Lust, da mitzuspielen.

Das Clinton-Erlebnis wurde in Turner Falls in verschärfter Form wiederholt. Die alten, flussgebundene Industrie, die Fabriksanlagen verrotten schon seit Jahrzehnten. Es kommt nichts nach.


Dass am anderen, hochgelegenen Ufer des Flusses der Ort Greenfield anders ausschauen wird, war leicht zu erahnen. Das – in diesem speziellen Fall noch durch einen Fluss mit ungleichen Uferkanten verstärkte Verhältnis zwischen Ober- und Unterstadt findet auch hier seine Bestätigung. Droben, in Greenfield, gibt’s den riesigen Supermarkt – am French King Highway (sic!) – und eine Übernachtungsmöglichkeit am anderen Stadtausgang – unten, in Turner Falls gibt’s verfallende Häuschen zu kaufen.

mehr Bildchen zum Thema Anradeln“ hier.

 

am Mohawk Trail bis North Adams
27. Juni 2011

greenfield-north-adams-ma_map

Noch immer gelingt die Routenwahl nicht ganz nach Wunsch, denn oft wären die „Old Routes“ sympathischer – die neueren fahren viel brutaler durchs Land (das kennt man ja von den Alpenstraßen auch). Die alten Wege werden nur ganz selten angezeigt – und man weiß auch nur als einheimischer Ortskundiger, wohin sie letztlich führen – vielleicht in irgendeinen Sumpf oder „dead end“ im Wald. Also „sharing the road“ mit megastarken trucks, knatternden Harleys – noch nie habe ich so viele fette Ärsche auf Motorrädern gesehen wie hier; meist im Pulk – und blechern dröhnenden pickups (GMC, Dodge, Chevy). Alle fahren das gleiche Tempo, d.h. auch  die schweren LKW haben enorm starke Motoren, die diese highways genauso hochziehen wie die PKW …

Auch der Motorenlärm scheint Kraft zu kosten – manche Rast am Wegrand ist willkommen.

Manchmal ein bissl wie in den Eisenwurzen, dann wieder Traisental oder oberes Waldviertel – alles aber viel viel größer.

Nicht nur die österreichische Tourismuswirtschaft verkauft Landschaft, Schnee und Ausblicke. Hier am Whitcomb Pass steigt der Konsumptionspreis offenbar mit der Weite der Fernsicht – die korreliert mit den Vor-Neben-Ost-West-Nach-Gipfelnamen ….

Nach einem weiteren Restanstieg – ca 1 Meile – wird diese 65-miles-view von einer 100-miles-view überboten, am Gipfel samt recht brüchigem Aussichtsturm. An diesem höchsten Punkt wird vor allem der „elk-brotherhood“ gedacht. Die animalische Figur ist zwar ein Hirsch – aber, wenn’s um patriotische Gefühle geht, dann ist bald mal ein Symboltier einer national-romantischen Metamorphose ausgesetzt.

mehr Bildchen zum Thema Anradeln“ hier.

Nach North Adams ging’s von den elk-Höhen kilometerlang bergab und leider in ein mieses Motel, dessen Manager uns auch noch im Preis ums Ohr gehauen hat.

„Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht genug“, hab‘ ich mir ins eigene Ohr danach gesungen, weil ich dem Typen leider (zu müde) nicht „auf den Hut gehaut “ habe.

4 Kommentare leave one →
  1. martino violino permalink
    Donnerstag, 07. Juli 2011 06:15

    Lieber Peter,
    hab grad deine bisherigen Blogs gelesen – gratuliere dir zu dieser Reise! Beneide dich um dieses Lebens-Erlebnis ungemein! Sitze im 10.Stock in Tokio, übe für die Melker Vokalwoche und bin gestern im Gym 100 km in 50 Minuten auf dem Trainingsradl gestrampelt (oder umgekehrt), ab Dienstag wieder in Wien. Hab’s weiter gut, ich halte dir die Daumen (wenn ich nicht grad Geige spiele oder schreibe …), wünsche dir gute Routen und gute, beglückende Begegnungen und lots of Oi-Kaze (= Rückenwind)!
    Martin

  2. Vesna Novosel permalink
    Mittwoch, 06. Juli 2011 19:57

    Lieber Nachbar-Wiener,nicht Amerikaner,schöne bilder und komentare!Bei uns alles in bestem Ordnug.Alles gute und schöne Grusse auf beide.V&Z. Novosel

  3. Herbert Rainer permalink
    Dienstag, 05. Juli 2011 17:35

    Lieber Peter, Bach und ich verzeihen nicht nur, sondern routieren vor Bewunderung in unseren jeweiligen Lagern. Es klingt sehr spannend und unterhaltsam zugleich, was ihr beiden – Hallo Hanna – so erlebt,-radelt und -zählt.
    Klebe mit Begeisterung am Bildschirm und warte auf Neues.
    Good Luck and good ride
    Herbert

  4. Bernhard u. Milena permalink
    Sonntag, 03. Juli 2011 08:51

    lieber peter… life after people heisst eine aktuelle tv soap hierzulande gerade – ähnliche bilder wie die von dir eingestellten. auf dem bild sehen Tomjohn+Natasha2 ohnehin wie die beiden letzten überlebenden von … aus. der frieden ist die fortsetzung des krieges mit den selben verkehrsmittlen.
    im standard war gestern die aussschreibung für den/die „radfahrbeauftragte(n)“ für wien. es juckt mir in den fingern deinen cv zu schicken … wunder dich also nicht wenn dich adequate entlohnung erwartet. die erwarten sich aber eh eher jemanden wie elmayer auf´n radl.
    diese woche ist in wien dieter schrage gestorben. … weil du ihn geschätzt und bewundert hast wie ich.
    danke für´s radeln und schreiben. lieben gruss an hanna.
    bernhard, milena

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